Qiu Shihua

Im ersten Moment nehmen die Betrachtenden die Gemälde des chinesischen Künstlers Qiu Shihua als monochrome, vollständig weiße Leinwände wahr. Sie tragen keine Werktitel und widmen sich stets der Darstellung einer Landschaft, ohne figurativ zu sein, und ohne mit dem Thema eine konkrete Absicht zu verfolgen oder abzubilden. Bei intensiver Betrachtung entwickeln sich aus der bemalten Oberfläche unerwartet weite und komplexe Landschaften gemalt in fließenden Pinselstrichen, die sich je nach Lichteinfall, Raumsituation und Standpunkt des Betrachtenden verändern: Sie breiten sich detailliert vor dem Auge aus oder entschwinden ihm wieder. Im Zentrum seiner Auseinandersetzung mit dem Medium der Malerei steht die Sichtbarkeit. Shihuas Gemälde zeigen eine deutliche Auseinandersetzung mit der westlichen Idee von Abstraktion und Reduktion der Farbe einerseits und fernöstlichen, taoistischen Konzepten der Wiederholung und Leere andererseits.

Qiu Shihua setzt in seinem Werk Impulse aus unterschiedlichen Kulturen um, inspiriert durch die Landschaften eines William Turner oder dem Impressionismus eines Claude Monet, deren Bilder er auf seiner Europareise 1984 erforschen konnte auf der einen Seite, aber vor allem auch Shanshui auf der anderen Seite, eine „Bildtradition, die im 4. Jahrhundert in Südchina entstand. Ein Shanshui-Maler strebt keine illusorische oder realistische Darstellung an und arbeitet manchmal, ohne die Landschaft, die er malt, jemals gesehen zu haben. Es geht darum, die Empfindungen zu malen, die die Vorstellung des Anblicks im Geiste hervorruft. Qiu Shihua bleibt dieser alten Bildtradition seines Landes treu und hält sich an ihre visuelle Sprache: das Fehlen einer linearen Perspektive und der Rhythmus von leeren Mustern, um den Betrachter in eine aktive Kontemplation zu versetzen. Er geht in diesem Bestreben noch weiter und eignet sich Shanshui durch westliche Techniken neu an, wobei er lieber Ölfarben als die traditionelle Tusche verwendet. Das Ergebnis ist einzigartig – weder Landschaft noch totale Abstraktion, sondern eine Verschmelzung von Altem und Neuem, von Westlichem und Östlichem.“

Aus: Qiu Shihua: Visible... Invisible, Ausstellungstext, Galerie Karsten Greve, 28.08.21– 09.10.21, Köln. (www.galerie-karsten-greve.com). © Galerie Karsten Greve Paris.

 

In der Ausstellung:

Qiu Shihua
Ohne Titel (# ar0014311), 2008
Öl auf Leinwand
128 × 238 cm
Private Sammlung