Robert Ryman

Der amerikanische Maler Robert Ryman (1930–2019) kommt aus der Tradition der All-Over-Malerei und arbeitet von Anfang an fast ausschließlich mit weißer Öl-, Emaille-, Acryl- und Lackfarbe auf Wachspapier oder Leinwand. Er bezeichnet Weiß als sein Medium, nicht so sehr als seine Farbe. Dabei geht es nicht um den Symbolgehalt, sondern darum, dass Weiß vieles sichtbar macht und uns eine Vielzahl verschiedener Nuancen zeigt. Ryman lässt seine Farbfelder bis an ihre äußeren Grenzen stoßen, ohne dass er ihnen einen Fokus im Inneren gibt. Er trägt weiße Öl- oder Acrylfarbe in einer großen, gleichmäßigen Fläche auf und schafft damit die einheitliche, glatte Oberfläche seiner Komposition. Die oft metallenen Befestigungen bilden einen integralen Bestandteil des Bildes, das unmittelbar an der Wand hängt, und machen so seinen materiellen Status als eigenständiges Objekt deutlich. Am Ende entsteht ein Dialog zwischen dem Betrachter, dem Raum, dem Licht und dem Bild.

Heiner Müller thematisiert diesen dialogischen Ansatz anlässlich Robert Rymans New Yorker Ausstellung im Metropolitan Museum 1994 in einem Gespräch mit Frank Raddatz über die deutsch-deutsche Nachwendezeit wie folgt: „Diese verschieden formatigen, überwiegend großformatigen weißen Flächen (bei Ryman) bedeuten das Ende der Reproduzierbarkeit von Kunst. Denn darüber einen Bildband zu machen, wäre Unsinn. Das Verschwinden des Bildes als letzte Erscheinung der Abbildung hält den Tod der bildnerischen Substanz fest. Jetzt zeigt sich, wie eng Kunst, Theologie und Utopie verschränkt sind. Es ist wahrscheinlich ziemlich egal, ob man die Substanz metaphysisch definiert oder Utopie nennt. Die Projektion, die Vorstellung, die Idee einer anderen Realität als der gegebenen ist abhandengekommen. Ob man diesen Bezugspunkt in der Zeit ansiedelt oder religiös betrachtet, ist ein relativ geringer Unterschied. Aber daß es noch etwas anderes gibt, ist die Voraussetzung von Kunst. Wenn es das andere nicht mehr gibt, ist das eine nicht mehr interessant, nicht mehr beschreibbar. Jetzt fällt diese Relation weg. Kunst lebt von Spannung. Man kann kein Seil spannen, wenn man es nur an einem Ende befestigt. Dann baumelt der Rest nur noch schlapp in den Abgrund. Der Seiltänzer steht arbeitslos herum. Das ist das, was passiert.“1

Anke Hervol

 

1 Heiner Müller im Gespräch mit Frank Raddatz, Für immer in Hollywood 
oder: In Deutschland wird nicht mehr geblinzelt, in: Lettre International, Nr. 4, 1994, S. 4ff.

 

In der Ausstellung:

Robert Ryman
Untitled, 1971
Acryl auf roter Vinylplatte
53,3 × 53,3 cm
Private Sammlung

Robert Ryman
Guild, 1982
Emaillack auf Fiberglas, Aluminium und Holz
98,2 × 91,8 × 3,8 cm
Tate Modern, London (Presented by Janet Wolfson de Botton 1996)